Eindrücke

Er hebt seine Figuren auf ein Podest. Der einzelne Alltagsmoment wird so zu etwas Erhabenem. Der Mensch steht schlicht und per se im Mittelpunkt und kommuniziert mit seinem Betrachter. Der junge Grödner Künstler Matthias Kostner schafft Figuren aus Holz nach Situationen aus dem täglichen Leben. Er lässt sie sitzen, liegen, springen, schweben, lesen, spielen… schafft Momentaufnahmen in naturgetreuer Mimik und Gestik.

Seit fünf Jahren erregt er bei der Skulpturenmesse in St. Ulrich, „Unika“, so nach den Unikaten der Aussteller benannt, Aufsehen. Matthias Kostner stammt selbst aus St. Ulrich im Grödental im Nordwesten der Südtiroler Dolomiten, berühmt für Natur, Tradition und als Wiege der Holzschnitzkunst, die zurückgreift bis ins sechzehnte Jahrhundert. Er lebt und arbeitet dort, wo er die Kunstschule besucht hat, das Diplom der Cademia erlangte, seinen Horizont ständig erweitert und am Zeitgeschehen misst. Er stammt aus einer anerkannten Künstlerfamilie, die seit fünf Generationen Bildhauer hervorbringt. Einige von ihnen gefragt für die Herstellung von Heiligenskulpturen, Ergänzungen alter Figuren, ganzer Altäre, die sie bis nach Übersee liefern und sich damit einen Namen machten. Andere, die ihrer künstlerischen Neigung kompromisslos folgen.

Matthias Kostner, Jahrgang 1982, aufgewachsen vor diesem Hintergrund mit Traditionsbewusstsein und dem Know How zeitgenössischer Kunst, bekennt sich implizit zur traditionellen Skulptur. Er schafft Figuren aus dem Alltagsleben, Metaphern ohne existenzialistisches Pathos. Die Ausdruckskraft und der formale wie geistige Zauber, die seine Arbeiten ausstrahlen, stehen dem ununterbrochenen und unbeeinflussbaren Lebensstrom sehr nahe. In ihnen liegt etwas Überdauerndes, Würde, Stolz, Ausdruckskraft, eben weitergetragen auf diesen unsichtbaren Grenzlinien der Geschichte und der Kultur seiner Heimat Gröden.

Kein Gag, kein Kunstzitat, keine freche Forschungsreihe oder Statement was eigentlich Skulptur ausmache, keine Provokation, sondern bewusst gutes Handwerk, Proportionen, verständliche Aussage zur Intensität des Moments. Bildhauerei, die für ihn so allein die Energie einer Welt, die permanente Veränderung alles Existierenden zu verkörpern vermag. Alberto Giacometti, Constantin Brancusi beeindrucken ihn ebenso, wie einst schon seine Vorfahren, seinen Vater Felix, seine beiden Onkel Leo und Josef. Bildhauer, von denen letzterer mit seinen „verstümmelten“ Skulpturen aus Beton Aufsehen erregt und der vor bald einem halben Jahrhundert mit anderen Künstlern seiner Heimat die Gruppe „Ruscel“ gegründet hat, um neue Aspekte in das Denken des heimatlichen Kunstschaffens zu bringen, der zu Henry Moore gepilgert ist, um Bestätigung für sein künstlerisches Wollen zu finden - ein künstlerischer Geist, der seinem Neffen stets nahe stand. Auch Matthias weiß, dass es zum Programm der Kunst gehört, Grenzen zu überschreiten und sich in ungesicherte Gebiete vorzuwagen – und für ihn bedeutet dies schlicht das Festhalten, die Rückkehr, zur klassischen Skulptur in Bewegung.

So stellt der junge Grödner das Thema Mensch in den Mittelpunkt seines Schaffens, der Mensch in Bewegung, in Aktion: radfahrende asiatische Migranten, der Bergsteiger im Welt-Naturerbe der Dolomiten, das lesende Mädchen ohne Identität. Bald deutsch, bald kyrillisch wirkt die seitenverkehrte, kaum lesbare Schrift, meist fester Bestandteil seiner Werke auf dem Sockel, Bühne für seine oftmals beinahe lebensgroßen Figuren, die mit dem Betrachter kommunizieren und ihn Botschaften erahnen lassen. Kostner greift auch die multiple Idee kurz auf, wiederholt ein Thema im seriellen Gedanken, betont seine Aussage damit, wenn sie ihn länger beschäftigt.

Seltener kommt es zu Figuren, die in sich ruhen: Ein junges, sitzendes Mädchen mit verträumtem Blick, in modischer Kleidung, minutiös ausgearbeitet Stofffalten und Gliedmaßen bis hin zum kunstvollen Lockenhaar. Kleidung und Frisur sanft in Farbe gehüllt. Oder der Junge von nebenan, den man zu kennen glaubt, keck und doch in stoischer Haltung und eine besondere Ruhe ausstrahlend. Auffallender Kontrast eine dunkelfarbene, gemusterte Weste und der orange Sockelboden. Ganz anders, aber nicht minder faszinierend, wirkt die über einem blauen Glasboden mit Flatterhaar schwebende Frauenskulptur.

Auf grünem Glasuntergrund streckt eine junge sitzende Frau in modernem Outfit ihr Bein von sich, blickt ruhig zu einem imaginären Betrachter. Auch hier die Farbe nur angedeutet, es spricht der subtile Umgang mit dem Holz, denn Holz ist stets die grundlegende Erfahrung für Kostners Leben als Bildhauer. Bronze, Stein, Ton, Gips, sind für Matthias in ihrem ursprünglichen Zustand anonym und amorph, Holz hingegen ist nicht statisch, sondern vermittelt das Gefühl des Pantha Rhei, des Werdens und Vergehens. Es verlangt Rücksicht auf das was es ist, hat Spuren in seinen Fasern, seiner Farbe, seiner Dichte, erzählt vom Weg, den es in seinem ursprünglichen Sein zurückgelegt hat. Diese Eigenschaften will Matthias Kostner bewahren und sie gleichzeitig mit seiner persönlichen Handschrift in Einklang bringen. So schafft er aus Leben neues Leben.

Die Struktur des Holzes unterstreicht er daher mit nur einem Hauch von Acrylfarbe, entfremdet durch das Schriftbild, bald nur angedeutet, bald durch aufgeklebte Zeitschriften als entfernte Träger von Erinnerungen, geheimnisvolle Identitäten, die im Spiegelbild gelesen keine direkten Recherchen mehr zulassen wollen. Matthias Kostner hat seinen Stil gefunden: er will kein lauter, protestierender junger Künstler sein, der krampfhaft nach Inhalten suchen muss - das Leben, der Mensch an sich ist Kunst allein. Kommunikation in Holz.

Dr. Ilse Thuile